Tropfen

Kommentarbereich

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ADMIN

Entstehung eines Bildes

Hallo Erich,

hier bei mir hat´s endlich auch mal ordentlich geregnet – so viel, wie seit dem letzten Winter nicht! Kaum zu glauben...

Ja, auch Regenzeit ist Fotozeit. Regentropfen können ein ohnehin schon sehr schönes Hauptmotiv nochmals aufwerten, ihm das zusätzliche sprichwörtliche i-Tüpfelchen aufsetzen – oder ein an sich weniger spektakuläres Hauptmotiv aufwerten; das fehlende Extra liefern, das es zu einem kleinen Star avancieren lässt :-).

Zum Foto:

Bestandsaufnahme

Du hast die Hagebutte schön erwischt. Die Schärfe liegt dort, wo sie hingehört, der Wassertropfen liefert einen attraktiven Lichtreflex.

Aber wie zeigt sich der Hintergrund? Dort ist ein dunkler, nach hinten flüchtender kleiner Ast, zunehmen unschärfer werdend. Links oben ist ein Zipfel bedeckter Himmel mit im Bild.

Links und oben links zeichnen sich schwach Rosenblätter aus dem Hintergrund ab. Sie sind die einzigen Strukturen, bei denen die eigentliche Abbildungscharakteristik des von Dir eingesetzten Orestons sichtbar wird – aber auch nur schwach. Ansonsten ist der Hintergrund unspektakulär, zeigt wenig die Eigenheiten des Objektiv-Oldies. Die Strukturen und Verläufe wirken nicht oder nur wenig "gemalt". Mit einem modernen Objektiv aufgenommen, sähe er im Wesentlichen ähnlich aus. Dann wäre allerdings die Hagebutte mit Tropfen schärfer und vor allem brillanter abgebildet worden.

Es stellt sich also die Frage: Wo zeigt sich der Vorzug der von Dir eingesetzten Optik? Hier ein Vintage-Objektiv einzusetzen, ist schließlich eine starke Entscheidung! Dafür sollte/müsste es Gründe geben.

Der Knackpunkt liegt in der Tat im Hintergrund. Dem Oreston fehlt einfach die Ausgangslage, aus der heraus es seine Vorzüge ausspielen kann.

Wie mache ich das am besten deutlich?

Zur Veranschaulichung ein Foto

Ich habe mir die Kamera genommen und bin rausgegangen, in den Garten, und habe ein Foto gemacht, das überhaupt nichts Besonderes ist. Vielmehr ging es mir darum, das, was ich oben bezüglich Deines Bilds beschreibe, fotografisch herauszuarbeiten und auf diese Weise zu verdeutlichen. Ich habe mich also genau auf den Sachverhalt konzentriert:

Berechtigung des Einsatzes eines Vintage-Objektivs bei einem "stinknormalen" Motiv.

Also: Suche bitte nicht DAS tolle Foto, das ist es nämlich nicht. Konzentrieren wir uns auf das, was ich zeigen und besprechen möchte. Das Bild hängt unter diesem Text an.

Werdegang eines Fotos

Ich habe ein ähnliches Motiv gesucht, wie Du es fotografiert hast: rote Beeren (hier in dem Fall die Beeren des Gewöhnlichen Schneeballs – Viburnum opulus), während es regnet, mit anhängenden Regentropfen. Nichts Besonderes. Kein besonderes Licht, kein besonderer Hintergrund, nur die Beeren mit den Tropfen. Ähnlich wie bei Deinem Bild oben.

Nun habe ich so lange hin- und hergeschaut, bis ich eine Komposition fand, bei der auch noch einige Beeren im Hintergrund waren. Ich konnte dazu natürlich nicht die Ausgangslage verändern, dabei wären sämtliche Regentropfen abgefallen (die man übrigens so nicht nachträglich simulieren kann beispielsweise mittels Sprühflasche – *grins*). Ich habe also den entsprechenden Aufnahmewinkel gesucht.

Die Kompostion ist:

Hauptmotiv mit Beeren und Tropfen im Vordergrund, im Hintergrund weitere Beeren, die an Ästen hängen, lockeres Astwerk, weitere verteilte Regentropfen

Dann habe ich überlegt, mit welcher Optik ich diese Komposition am ausdrucksstärksten ablichten kann. Welche Optik holt am meisten aus dieser Ausgangslage heraus? Nun kommen die Fragen:

Moderne Optik oder Vintage-Objektiv? Welche Brennweite? Welche Objektiv-Individualität "malt" bei dieser Ausgangslage am schönsten?

Ich entschied mich für das Trioplan 100. Abstand des Hauptmotivs zu den Hintergrundstrukturen sowie der insgesamt relativ homogene Hintergrund (ähnlich wie bei Deinem Bild oben!) werden mittels des Trioplans relativ attraktiv abgebildet. Der Maler würde sagen: Das ist die Suche nach dem richtigen Pinsel :-)!

Mit dem Oreston hätte sich im wahrsten Sinne des Wortes ein anderes Bild ergeben. Es hätte aus diesem gegebenen Hintergrund lange nicht so viel rausgeholt, die wenigen Strukturen nicht so schön malerisch aufgewertet. Das Trioplan bringt hier ein wenig "Musik" rein :-)!

"Auswertung"

Das Oreston ist deshalb nicht schlechter, es ist ein hervorragendes Objektiv mit hervorragenden Eigenschaften. Aber wir müssen lernen, wann welche Eigenschaften gefragt sind.
Ein modernes Objektiv beispielsweise hätte den Hintergrund "hervorragend" beruhigt wiedergegeben, dafür ist es über viele Jahre fotooptischer Entwicklung hochkorrigiert worden. Damit wäre dieses Bild aber für die Tonne gewesen... 
Also ein klassischer Fall für eine Alt-Linse. Hier müssen individuelle Eigenheiten her, die aus genau dieser Situation was interessantes zaubern – eben malen. Es kommen einige Vintage-Objektive in Frage, ich entschied mich für das Trioplan, also eine von mehreren Möglichkeiten. Das Oreston 1.8/50mm zeigt seine Stärken bei anderen Ausgangslagen. Es wird ersichtlich, wie sinnvoll es ist, die individuellen Eigenschaften eines Vintage-Objektivs zu erkennen und anwenden zu lernen.

Betrachte insbesondere den Hintergrund, das Bokeh, insbesondere unter folgenden Aspekten:

  • Welche Strukturen sind von vornherein vorhanden Anteil des Makrofotografen durch Festlegung einer Bildidee und Aufnahmeposition)?
  • Wie bildet das Trioplan 100 diese Strukturen ab (Anteil der eingesetzten Optik mit seiner Abbildungscharakteristik?
  • Wie groß ist der Anteil des Bokehs an der Gesamtwirkung des Bildes? Nochmal: Es handelt sich um ein völlig gewöhnliches Foto, nichts Besonderes, völlig unspektakulär.

Die genauere Durchleuchtung dieser Fragestellungen wird Dich weiterbringen.

Lieber Erich, verstehe mich bitte jetzt nicht falsch. Mein Ziel ist es nicht zu sagen: "Dein Bild ist schlecht, schaue meins an, so geht´s!". Mein Ziel ist vielmehr, Dich noch ein bisschen mehr zu sensibilisieren für die Fragestellung, welche Spielräume beim Umsetzen einer Bildidee bestehen. Denn nur durch diese Fragestellung lernt man, Objektive individuell einzusetzen, einen geeigneten Pinsel für das angestrebte Bild zu wählen. Dann wird das Malen mit der Kamera zu einer richtig befriedigenden Angelegenheit, die nicht nur super kreativ ist, sondern auch noch eine Menge Spaß macht.

Ich hoffe, Dir weitergeholfen zu haben.

In diesem Sinne weiterhin "Gut Licht",

Roland

Olympus OM-D E-M1 Mark II; Trioplan 2.8/100mm; 1/320s; Blende 2.8; ISO 400

Gewöhnlicher Schneeball (Viburnum opulus)

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Hallo Roland,

Erstmal Danke für die ausführliche Bildbesprechung.

Puh, das ist wirklich ausführlich *Schwitz* ;-)) und auch noch gleich mit einem schönen Beispielfoto dazu!!!
Ja ich sehe, dass eben nicht jedes dieser alten Schätzchen für jedes Motiv geeignet ist. Ich bin leider kein Besitzer eines Trioplan 100, aber eines Orestor 100, und ich habe auch damit Aufnahmen in der gleichen Richtung mit der Hagebutte gemacht, sowie als Vergleich mit dem "moderneren"  Sigma 105, das Teil kann ja auch schon gut malen. Leider waren keine weiteren Hagebutten in der Nähe, um sie, wie in Deinem Beispielfoto zu "refektieren".
Ich setze die beiden Fotos mal unten ein.

Foto 1: ORESTOR 100mm f2.8; Blende f2.8; 1/80s; ISO 640

Foto 2: SIGMA 105mm f2.8; Blende f3.5; 1/100s; ISO 1000

Beide mit Lightroom leicht aufgehellt, in den Lichtern und Gradation.

Gruß

Erich

 

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ADMIN

Hallo Erich,

man MUSS kein Trioplan 100 haben. Dieses Objektiv ist zwar interessant, aber es gibt zahlreiche andere Linsen, die auf ihre Art genauso interessant sind.

Wir sprechen hier von einer Art zu Fotografieren, die sich extrem unterschiedlich zeigen kann. Da kann es sein, dass Du unter bestimmten Situationen mit einem bestimmten Vintage-Objektiv Fotos machst, die flau sind, fad, ohne Ausdruck, schlicht uninteressant. Und plötzlich, wenn ein winziger Sonnenstrahl durch die Wolkendecke bricht, fängt die Musik an zu spielen. Das Licht, vielleicht tatsächlich nur dieser eine Lichtstrahl, fängt sich in einer Objektivlinse, dessen Vergütung nach vielen Jahrzehnten verdientermaßen den Geist aufgegeben hat, und beginnt, im Objektivtubus Tanko zu tanzen. Plötzlich zaubert das gleiche Objektiv, das vorher noch im Tiefschlaf erfolgreich den Makronisten geärgert, bestenfalls verunsichert hat, Flares auf den Sensor. Lichtkanten an Hauptmotivrändern glühen. Und schwupp, ist man mitten drin im Altglas-Zauber.

Ich will damit sagen, dass man nicht an einem oder wenigen Motiven die Charakteristik eines Vintage-Objektivs festmachen kann. Aber das wäre ja auch zu einfach. Schließlich wollen wir ja gefordert werden :-)!

Die beiden zusätzlich von Dir eingestellten Fotos sagen tatsächlich recht wenig aus. Erstens sind sie nur bedingt miteinander vergleichbar, weil sie nicht unter gleichen Bedingungen aufgenommen wurden. Ein wenig Infos liefert die untere linke Ecke des unteren Bildes. Hier zeigt sich, dass sich eigentlich nichts zeigt. Es liegt diejenige Situation vor, die ich oben beschrieben habe. Unter den bestehenden Gegebenheiten dieses Motivs lässt sich kein aussagekräftiger Vergleich des Orestor 100mm mit dem Sigma 105mm vornehmen. Unter anderen Voraussetzungen sähe das ganz anders aus. Das Sigma ist ein modernes Objektiv, dem die meisten Eigenheiten erfolgreich wegkorrigiert wurden – ganz im Gegensatz zum Orestor 2.8/100. Bei anderen Situationen wird sich das bestätigen.

Ich bin sicher, Du wirst mit sowohl dem Orestor 2.8/100mm, als auch mit dem Oreston 1.8/50mm, und natürlich auch mit dem leistungsstarken Sigma 2.8/105mm noch eine Menge Freude haben – je nachdem, welche Situation vorliegt.

Lieber Gruß,

Roland

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